Nach dem Betriebsübergang zählt das Motiv, nicht der Zeitraum
Das vielleicht unaussprechlichste aller Gesetze, das Arbeitsvertragsrechtsänderungsgesetz (kurz AVRAG) schützt Arbeitnehmer in dem Fall, dass das Unternehmen ihres Arbeitgebers auf jemand Neuen übergeht. Ob eine Tankstelle einen neuen Pächter bekommt oder ein Kollege das Buffet des bisher gemeinsamen Arbeitgebers fortführt – der neue Betriebsinhaber soll die Arbeitsverhältnisse unverändert fortführen. Eine Kündigung aus Anlass des Betriebsübergangs ist demnach unwirksam. Der betroffene Arbeitnehmer könnte sie ignorieren und am nächsten Tag wieder zur Arbeit erscheinen.
Offen lässt das Gesetz allerdings, was dem Arbeitnehmer gebührt, wenn er die Kündigung akzeptiert, und wie lange der Übernehmer warten muss, bis er eine Kündigung aussprechen kann. Zu beiden Fragen hat sich der Oberste Gerichtshof kürzlich geäußert:
Im einen Fall ( 9 ObA 55/07i vom 8.8.2007) erfolgte die Kündigung nur fünf Tage nach dem Betriebsübergang. Die Arbeitnehmerin nahm dies hin, verlangte aber später als Entschädigung drei Monatsgehälter. Ihre Begründung: Der Arbeitgeber hätte das Dienstverhältnis bis dahin nicht auflösen dürfen. In drei Monaten könne sich ein Arbeitnehmer „bewähren“; erst danach stehe eine Kündigung nicht mehr im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang.
Beweislast
Dem folgte der OGH nicht: Weder das AVRAG noch die ihm zugrunde liegenden EU-Richtlinien sehen eine exakte „Sperrfrist“ für Kündigungen vor. Erfolgt die Kündigung kurz nach dem Betriebsübergang, hat das bloß Indizwirkung: Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass die Kündigung trotz des engen zeitlichen Zusammenhangs nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgte.
Umgekehrt betont der OGH, dass Kündigungen auch ein Jahr später bei entsprechender Beweislage aus Anlass des Betriebsüberganges erfolgen und daher unwirksam sein können. Selbst wenn die Kündigung nachweislich nur wegen des Betriebsübergangs erfolgte und der Mitarbeiter sie hinnimmt, hat er keinen Anspruch auf Gehalt für drei Monate oder eine andere allgemeingültige Dauer. Er kann bloß auf der Fortsetzung der Beschäftigung beharren.
Im anderen Fall (9 ObA 16/06b vom 1. 2. 2007) wurden mehrere Mitarbeiter mehr als ein Jahr nach dem Betriebsübergang gekündigt. Trotz der langen Zeitspanne ging der OGH davon aus, dass der Betriebsübergang das tragende Motiv war: Zwischen dem Übergang und den Kündigungen hatte der neue Arbeitgeber mehrmals versucht, diese Arbeitsverhältnisse zu beendigen – obwohl sich in dieser Zeit „nichts Relevantes geändert“ hat und keine wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Kündigungsgründe vorlagen. Auch gebe es keine generelle „Jahresfrist“, nach der sich der Erwerber von unliebsamen Mitarbeitern trennen könne. Die bekämpften Kündigungen waren für den OGH nur „ein weiterer Versuch“ des Arbeitgebers und daher unwirksam.
Wie viel Zeit seit dem Betriebsübergang auch verstrichen ist – für die Kündigung übernommener Mitarbeiter muss ein anderes Motiv als der Betriebsübergang vorliegen. Die zeitliche Nähe hat nur Indizwirkung, die von der Gegenseite widerlegt werden kann. (Kristina Silberbauer, DER STANDARD, Printausgabe, 09.01.2008)