OGH-Urteil zu ÖBB fordert vom Arbeitgeber klares Statement
Haben Arbeitnehmer ein Recht auf Streik? Müssen sie ihre Entlassung befürchten, wenn sie teilnehmen? Verlieren Nichtstreikende ihr Gehalt, wenn sie ernsthaft arbeiten wollen? Das sind nur einige der Themen rund um den Streik, zu denen unsere Gesetze schweigen. Zumindest der Entgeltanspruch im Streik wurde durch zwei aktuelle Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs etwas erhellt.
Beide Fälle betreffen Streiks der Eisenbahner-Gewerkschaft gegen die ÖBB-Dienstrechtsreform im November 2003. Beide Kläger sind ÖBB-Mitarbeiter, die trotz des Streiks zur Arbeit erschienen und dort im Aufenthaltsraum abwarteten – der eine über Anweisung seines Vorgesetzten, Bereitschaftsdienst zu verrichten (9 ObA 17/05y vom 23. 11. 2005), der andere nach Meldung seines Dienstantritts, allerdings ohne ausdrückliche Anordnung: Er war Zugführer und der gesamte Zugverkehr lag lahm (8 ObA 23/05y vom 19. 12. 2005). Das Gehalt für die Streiktage wurde ihnen abgezogen; der Streik sei dem Arbeitgeber nicht anzulasten, zumal dieser erfolgreich war – die Dienstrechtsnovelle wurde zurückgezogen.
Im Zentrum der Prozesse stand § 1155 ABGB: Dem leistungsbereiten Arbeitnehmer gebührt das Gehalt auch dann, wenn er seine Arbeit aus Gründen nicht erbringen kann, die in der Sphäre des Arbeitgebers liegen. Spannend, weil in der juristischen Lehre besonders umstritten, ist dabei die Frage, ob ein Streik dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, sodass er den Nichtstreikenden Gehalt zahlen muss; oder ob die Arbeitswilligen für den Streik als kollektive Kampfmaßnahme mitverantwortlich sind – mit Gehaltskürzungen als Folge.
Beide Arbeitnehmer gewannen den Prozess, ohne dass der OGH sich jedoch deklarieren musste, wem ein Streik zuzurechnen ist. Er entschied, dass gar keine Dienstverhinderung im Sinne des § 1155 ABGB vorlag. Im einen Fall wurde der Streikbrecher ohnehin für den Bereitschaftsdienst und damit zur Arbeitsleistung eingeteilt. Der andere entschied sich zwar ohne Anordnung für das Abwarten; dennoch nahmen die ÖBB seine Dienste an.
Nicht heimgeschickt
Die Begründung sollte streikgefährdete Arbeitgeber aufhorchen lassen: So wie der nicht streikende Arbeitnehmer seine Arbeitsbereitschaft klar zu erkennen geben muss, wird auch vom Arbeitgeber eindeutiges Verhalten gefordert. Er hat die arbeitsbereiten Mitarbeiter durch Rundschreiben, Aushänge oder Ähnliches zu informieren, dass er ihre Dienste streikbedingt nicht in Anspruch nimmt, und sie das Dienstgelände verlassen dürfen. Indem der Arbeitgeber das unterließ, hat er die Anwesenheit des Zugführers gebilligt und damit seine Arbeitsbereitschaft angenommen.
Klargestellt ist nun, dass den arbeitswilligen Streikbrechern Entgelt gebührt, wenn der Arbeitgeber sie nicht heimschickt. Offen bleibt aber, ob die Arbeitnehmer im umgekehrten Fall (der Arbeitgeber verzichtet auf die Arbeitsleistung) jedenfalls ihr Gehalt verlieren. Denn das war nicht Thema der Prozesse. Es sind Fälle denkbar, in denen dem Arbeitgeber trotz Streiks ein Einsatz der Arbeitswilligen zumutbar ist – hier wird das Heimschicken allein die Gehaltskürzung nicht rechtfertigen. (Kristina Silberbauer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.2.2006)